Jahresbericht Iran 2019

Im November fand das Universal Periodic Review (UPR) für Iran statt, ein UN-Mechanismus zur Verbesserung der Menschenrechtslage. Aus diesem Anlass beklagte AI, dass sich die ohnehin schlechte Menschenrechtslage seit dem letzten UPR 2014 drastisch verschlechtert habe.  Dementsprechend hat sich auch die ohnehin schon desaströse Lage im Hinblick auf Folter, Misshandlung und exzessive Polizeigewalt auch 2019 nicht verbessert, sondern eher verschlechtert.

Einsatz von Folter in iranischen Gefängnissen

Folter und Misshandlung waren in den iranischen Gefängnissen nach wie vor an der Tagesordnung. Unter Folter erzwungene Geständnisse werden regelmäßig zur Begründung von Gerichtsurteilen verwendet, auch für Todesurteile. Nach wie vor betrifft dies auch Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren. So sollten im Februar drei junge Männer hingerichtet werden, die die ihnen zur Last gelegten Taten im Alter von 17 Jahren begangen haben sollen. Einer davon, Barzan Nasrollahzadeh, wurde 2010 im Alter von 17 Jahren vom Geheimdienst festgenommen und mehrere Monate ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Er gibt an, in dieser Zeit gefoltert worden zu sein. Er wurde mit einem Elektroschocker traktiert, kopfüber aufgehängt und geschlagen. 2013 wurde er zum Tode verurteilt. Im April wurden Mehdi Sohrabifar und Amin Sedaghat im Alter von 17 Jahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung im Alter von 15 Jahren ausgepeitscht und hinterher heimlich hingerichtet. Sie selbst haben erst kurz vor ihrem Tod von ihrem Todesurteil erfahren. Nach ihrer Festnahme 2017 waren sie zwei Monate in Polizeigewahrsam, wo sie ihren Angaben zufolge geschlagen worden waren.

Auch ein weiterer Prozess im März wirft ein Schlaglicht auf den Einsatz von Folter. Hierbei standen acht BiodiversitätsforscherInnen wegen Spionage vor Gericht, weil sie Kameras eingesetzt hatten, um seltene Säugetiere wie Leoparden zu untersuchen. Ein weiterer (Kavous Seyed-Emami), der gemeinsam mit ihnen im Januar 2018 festgenommen wurde, starb zwei Wochen nach der Festnahme unter ungeklärten Umständen. Niloufar Bayani, Houman Jowkar, Morad Tahbaz und Taher Ghadirian könnten zum Tode verurteilt werden. Die anderen sehen sich mit Spionagevorwürfen konfrontiert, für die sie 10 bzw. 11 Jahre Haft erhalten können. Nach ihrer Verhaftung wurden sie im Evin-Gefängnis festgehalten, hatten keinen Zugang zu einem Anwalt und durften ihre Familien nur sehr vereinzelt sehen. Ihre Familien berichteten von deutlichen Folterspuren wie abgebrochenen Zähnen und Verletzungen. Zudem stützt sich die Anklage offensichtlich maßgeblich auf Geständnisse, die unter Folter erlangt und später widerrufen wurden. Niloufar Bayani berichtete, dass sie erst gestanden hätte, nachdem man sie physisch und psychisch gebrochen hätte. Man hatte ihr halluzinogene Drogen gespritzt, sie mit Gewalt bedroht, ihre Fingernägel ausgerissen und ihre Eltern verhaftet. Später im Prozess wurde sie des Saales verwiesen, weil sie wiederholt dagegen protestiert hatte, dass ihr Geständnis, das nur unter Folter zustande gekommen war, gegen sie und die anderen verwendet wurde. Eine Untersuchung der Foltervorwürfe gab es nicht.

Todesfälle in Haft

Zwischen Dezember 2017 und Juni 2019 hat AI elf Todesfälle in Haft dokumentiert, deren Umstände ungeklärt sind. So starb im Juni der 28jährige Benyamin Alboghbiesh nur einen Monat nach seiner Verhaftung in iranischer Haft. Er gehörte der arabischen Minderheit der Ahwazi an und war zuvor gesund gewesen. AI vermutet deshalb, dass er zu Tode gefoltert wurde.

Medizinische Versorgung in Gefängnissen

Immer wieder kam es zu Protesten von Gefangenen, weil medizinische Vorsorgung nicht gewährleistet wurden. So traten im Januar Nazanin Zaghari-Ratcliffe und Narges Mohammadi in einen 3tägigen Hungerstreik, um gegen die Vorenthaltung medizinischer Behandlung in Haft zu protestieren. Die Behörden reagierten mit dem Entzug von Kontaktmöglichkeiten zu ihren Familien. Im Februar kam es zu Aufständen in Shar-e-Rey, die mit Tränengas, Pfefferspray, Feuerwaffen und Prügeln niedergeschlagen wurden. Die Gefangenen hatten darauf aufmerksam machen wollen, dass eine von ihnen medizinische Versorgung benötigte.

Körperstrafen

Nach wie vor setzt Iran Körperstrafen wie Auspeitschen oder Amputation ein, die als Folter gelten. So wurde der Menschenrechtsanwalt  Amirsalar Davoudi im Juni zu 30 Jahren Haft und 111 Peitschenhieben verurteilt, weil er Menschenrechtsverletzungen öffentlich gemacht hatte. Die Anwältin Nasrin Sotoudeh wurde zu 38 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Im Oktober wurde einem Mann in der Stadt Sari als Strafe für Diebstahl eine Hand amputiert.

Journalisten und Oppositionelle

Frauenrechtlerinnen, die sich gegen den Kopftuchzwang engagieren, verschwanden immer wieder für mehrere Wochen und wurden mit Drohungen und Misshandlungen dazu gezwungen, Videogeständnisse zu machen. Auch Arbeitnehmeraktivisten wurden unter Druck gesetzt. So wurden im September sieben Personen in Zusammenhang mit Protesten für Arbeitnehmerrechte zu langen Haftstrafen verurteilt, in einem Fall auch zu 74 Peitschenhieben. Esmail Bakhshi und Sepideh Gholian hatten dagegen protestiert, dass Löhne bei einer Zuckerfabrik nicht ausgezahlt wurden. Zudem hatten sie berichtet, dass sie bei einer vorangegangenen Festnahme 2018 gefoltert worden waren. Sie wurden deshalb unter anderem wegen der „Verbreitung von Lügen“ angeklagt.

Exzessive Polizeigewalt

Ende des Jahres kam es immer wieder zu landesweiten Protesten, unter anderem gegen gestiegene Benzinpreise. Die Sicherheitskräfte schlugen diese Proteste gewaltsam nieder, es kam zu Hunderten Toten im ganzen Land. AI konnte im November 281 Fälle dokumentieren, geht aber davon aus, dass die tatsächliche Zahl höher liegt. Laut UN-Angaben befanden sich mindestens 12 Minderjährige unter den Opfern.

Bei der Niederschlagung der Proteste war von Dächern und in einem Fall auch von einem Helikopter aus scharf in die Menge geschossen worden. Videobeweise zeigen, dass zumindest in einigen Fällen von hinten auf fliehende Menschen geschossen wurde. Auch durch den Einsatz von Tränengas kam es zu Todesfällen. Ein kleiner Teil der Demonstranten war gewalttätig, indem sie Steine warfen und Häuser beschädigten. Dies rechtfertigt jedoch in keinem Fall das Ausmaß an exzessiver Polizeigewalt, das hier angewandt wurde. Augenzeugen berichteten, dass die Sicherheitskräfte Tote und Verwundete von den Straßen und aus Krankenhäusern verschwinden ließen und sie nicht herausgab. Manche Familien durften ihre Toten beerdigen, aber nur unter der Maßgabe, dass die Beerdigung schnell und ohne Autopsie stattfand. AI hat außerdem Berichte erhalten, dass den Familien der Toten Rechnungen für Kugeln oder zerstörtes Staatseigentum gestellt wurden. Verletzte wurden aus Krankenhäusern in Haftanstalten gebracht.

Gleichzeitig setzte eine beispiellose Verhaftungswelle ein, die unter anderem JournalistInnen, MenschenrechtlerInnen und Studierende betraf. Ein Parlamentsmitglied sprach von 7000 Verhaftungen. Auch befanden sich Minderjährige unter den Verhafteten, die gemeinsam mit Erwachsenen festgehalten wurden. Viele wurden ohne Kontakt zur Außenwelt gehalten und misshandelt oder gefoltert. AI konnte einige der Berichte durch Augenzeugen und durch Videobeweise belegen. Zu den Foltermethoden gehörten Schläge, auch mit Schlagstöcken, Tritte und Auspeitschen. Die Angehörigen eines Opfers, das freigelassen wurde, berichten, von Verletzungen und Schnitten im Gesicht. Die Gefängnisse sind überfüllt und die hygienischen Zustände unzureichend.

Aufklärung der Massaker von 1988

Im November haben drei europäische Staaten – Schweden, Belgien und Liechtenstein – Schritte unternommen, die der Aufklärung der Massaker von 1988 dienlich sein könnten. Dabei geht es um Vorgänge zwischen Ende Juli und Anfang September 1988. Damals wurden die Gefängnisse geschlossen,  die Gefangenen wurden vor willkürlichen Gerichten befragt und in jedem Fall zum Tode verurteilt. Mehr als 5000 Menschen wurden damals erschossen oder gehängt. In den meisten Fällen verschwanden die Toten und die Familien erfuhren nie, wo sie begraben worden waren. Schweden hat am 9.11. einen Verdächtigen festgenommen, der mit den Ereignissen in Verbindung gebracht wird. Belgien und Liechtenstein haben beim UPR kritische Fragen zur Aufklärung der Verbrechen gestellt, was so bisher noch nicht vorgekommen ist.

Aktuelle Jahresberichte zu wechselnden Ländern stellen wir im Rahmen von News Beiträgen vor. Unter Infomaterial finden Sie alle Jahresberichte der Theko gegen die Folter.

6. Mai 2020