Folter und Misshandlung im Irak (Jahresbericht der Theko gegen Folter)
Die drastischen Maßnahmen zur Einschüchterung der Zivilgesellschaft haben sich im Jahr 2018 noch verschärft. Durch eine Veränderung der Strafrechtsordnung könnte sich dies noch verschlimmern. Danach dürften Angeklagte, denen „staatsgefährdende“ Akte vorgeworfen werden, ihre Anwälte nicht mehr selbst wählen, sondern müssten aus einer Liste von 20 vorgegeben Anwälten wählen.
Folter und Misshandlung sind an der Tagesordnung und wurden regelmäßig zur Begründung von Gerichtsurteilen bis hin zu Todesurteilen genutzt. So wurde im Januar der 22jährige Ramin Hossein Panahi in einem hochgradig unfairen Prozess auf der Basis erfolterter Geständnisse zum Tod verurteilt. Sein Prozess dauerte weniger als eine Stunde, er trug deutliche Spuren von Folter am Körper. Er durfte weder einen Anwalt noch seine Familie kontaktieren. Am 26.8. nähte er seine Lippen zusammen und begann einen Hungerstreik. Danach wurde er an einen unbekannten Ort verlegt und im September hingerichtet. Der Busfahrer Mohammad Salas wurde im Juni hingerichtet. Sein Todesurteil beruht nur auf einem Geständnis, das er gemacht hatte, nachdem er mehrere Stunden lang verprügelt worden war, und das er mittlerweile zurückgezogen hat. Seine Anwältin, Zeynab Taheri, wurde verhaftet, weil sie angekündigt hatte, Beweise für seine Unschuld zu veröffentlichen. Im September wurden die zwei kurdischen Männer Zaniar Moradi und Loghman Moradi hingerichtet. Die Cousins waren 9 Monate in Einzelhaft und gaben an, in dieser Zeit gefoltert worden zu sein. Sie seien geschlagen und getreten worden, an ein Bett gefesselt und ausgepeitscht, sowie mit Vergewaltigung bedroht worden, um einen Mord zu gestehen. Ihr Prozess fand 2010 statt und dauerte nur 20 Minuten, obwohl es ein Mordprozess war. Im Oktober wurde die 24jährige Zeinab Sekaanvand gehängt, für den Mord an ihrem Ehemann, den sie im Alter von 17 Jahren begangen haben soll. Das zugrundeliegende Geständnis wurde offensichtlich unter Folter erlangt. Im Gefängnis wurde sie schwanger, das Baby wurde jedoch als Folge von Schock totgeboren, weil ihre beste Freundin hingerichtet worden war. Am Tag nach der Totgeburt wurde sie ins Gefängnis zurückverlegt und bekam keine medizinische Nachsorge. Vor ihrer Hinrichtung wurde ein weiterer Schwangerschaftstest durchgeführt. Da er negativ war, wurde sie gehängt.
Die Verweigerung medizinischer Versorgung in Haft wird ebenfalls systematisch zur Drangsalierung von Häftlingen eingesetzt. Die Vorenthaltung medizinischer Versorgung gilt als Folter. So berichteten Frauen der religiösen Minderheit der Gonabadi Derwish, die im Gefängnis Shahr-e Rey einsaßen, dass ihnen notwendige Medikamente vorenthalten wurden und Notversorgung nicht gewährleistet wurde. Einige medizinische Geräte sind offensichtlich kaputt und werden nicht repariert. Zudem berichteten sie über sexuelle Belästigung durch die Ärzte. Nazanin Zaghari-Ratcliffe, Mutter einer kleinen Tochter, wurde nach einer Panikattacke, auch aufgrund von niedrigem Blutdruck, ins Gefängniskrankenhaus gebracht, dann aber wieder in ihre Zelle. Der Gefängnisarzt sagt, sie brauche einen Spezialisten außerhalb des Krankenhauses, was ihr verwehrt wurde. Der Frauenrechtler Farhad Meysami erhielt nach einem langen Hungerstreik gegen seinen Willen intravenöse Fluide. Bei dem 31jährigen Aresh Sadeghi, der insgesamt 19 Jahre Haft wegen seiner Menschenrechtsaktivitäten verbüßt (darunter auch Kommunikation mit AI!) ist Knochenkrebs festgestellt worden. Die Behörden weigerten sich jedoch, ihm eine angemessene Behandlung zukommen zu lassen. Seine rechtzeitige Verlegung ins Krankenhaus vor der OP wurde blockiert. Nach der 7stündigen Operation wurde er noch im bewusstlosen Zustand ans Bett gefesselt, das medizinische Personal durfte zu seiner Versorgung nicht in den Raum. Nach drei Tagen wurde er ins Gefängnis zurückgebracht, obwohl die Ärzte 25 Tage verlangt hatten, um Folgeuntersuchungen wegen Metastasen einzuleiten. Mittlerweile hat er eine ernsthafte Entzündung am Arm.
Zudem ist es in mehreren iranischen Gefängnissen zu ungeklärten Todesfällen gekommen. Die Behörden behaupten, bei den Todesfällen handele es sich um Suizide, während Aktivisten und Familien anderes berichten. Saro Ghahremani wurde den Behörden zufolge bei einer Konfrontation mit bewaffneten Sicherheitskräften getötet. Mohammad Raji starb angeblich an den Folgen der Niederschlagung eines friedlichen Protestes einer Gruppe, der er angehörte. Seine Familie hat ihn aber nach den Verletzungen noch gesehen und gibt an, dass er nicht so gefährlich verletzt war. In allen fünf Fällen vermutet AI, dass Folter und Misshandlung die Todesursache waren. Drei Todesfälle geschahen in der Quarantäne-Station des Evin, jeweils ein anderer in Arak und Dezfoul. In den Gefängnissen sind die Zustände desolat, Folter ist an der Tagesordnung. Zudem wurden die Familien der in Haft zu Tode gekommenen Häftlinge stark drangsaliert. Sie wurden zu langen Verhören geladen, ihre Wohnungen wurden durchsucht, persönliche Gegenstände zerstört oder entwendet. Die Beerdigungen durften nur unter strenger Bewachung der Sicherheitsbehörden stattfinden. Die Leichen wurden nur unter der Maßgabe freigegeben, dass sie möglichst noch am selben Tag beerdigt werden und dass keine Autopsie durchgeführt werden darf. In zwei Fällen behaupteten die Behörden, dass eine Autopsie stattgefunden habe und die Ergebnisse in 1-2 Monaten vorlägen, doch bisher ist nichts bekannt. Präsident Rohani hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, doch diese ist bei weitem nicht unabhängig. Der Witwe des im Januar in Haft gestorbenen iranischkanadischen Umweltschützers Kavous Seyed-Emami, Maryam Mombeini, wurde die Ausreise nach Kanada verweigert, wo ihre Familie lebt.
Die hygienischen Zustände in den Haftanstalten sind überdies häufig desaströs. Die beiden zwei gewaltlosen politischen Gefangenen Atena Daemi und Golrokh Ebrahimi Iraee berichteten aus dem Gefängnis Shahr-e Rey, ein Gefängnis für Schwerverbrecherinnen auf dem Gelände einer ehemaligen Hühnerfabrik von salzigem Wasser, mangelnden Betten und sich ausbreitenden Krankheiten.
Weiterhin wendet Iran noch immer Körperstrafen wie Amputationen, Auspeitschen und Blenden an. Obwohl die internationale Gesetzgebung Amputationsstrafen als Folter ächtet, verteidigt Iran die Praxis auch vor den UN als „religiös und kulturell begründet“ und als „einzige effektive Methode, weiteren Diebstahl zu verhindern.“ Iran hat mehrfach bedauert, dass Amputationen nicht in der Öffentlichkeit stattfinden können. Bei der Amputation ist ein Arzt anwesend, was gegen die Ethik-Richtlinien für Ärzte verstößt. So wurde im Januar in der Provinz Khorasan einem 34jährigen mit einer Guillotine die Hand abgehackt, um ihn für einen 6 Jahre zurückliegenden Viehdiebstahl zu bestrafen. Im Juli wurde ein junger Mann mit 80 Peitschenhieben ausgepeitscht, weil er 10 Jahre zuvor als 14-oder 15jähriger Junge bei einer Hochzeit Alkohol getrunken hatte.
Die Aufklärung der Massaker von 1988 wird von den Behörden weiterhin behindert. Am 4. Dezember gab AI einen neuen Bericht dazu heraus (Blood-soaked secrets: Why Iran’s 1988 prison massacres are ongoing crimes against humanity ). Zwischen Ende Juli und Anfang September 1988 wurden die Gefängnisse geschlossen, keine Familienbesuche mehr zugelassen, und die Gefangenen wurden vor willkürlichen Gerichten befragt und in jedem Fall zum Tode verurteilt. Mehr als 5000 Menschen wurden erschossen oder gehängt. Viele der damals in den „Todesgerichten“ beteiligten Personen sind heute in wichtigen Ämtern in Justiz und Regierung. Es nimmt daher nicht wunder, dass die iranische Regierung weiterhin versucht, Beweise für die Massaker zu vernichten. AI hat zahlreiches Bildmaterial gesammelt, das belegt, wie die vermuteten Massengräber des Massakers von 1988 mit Beton übergossen, umgepflügt oder mit Müll aufgefüllt werden.
Ein leiser Hoffnungsschimmer ist immerhin die Lockerung der Drogengesetzgebung im Januar. So wird die Todesstrafe jetzt für weniger Vergehen gefordert, was hunderte Menschen vor dem
Galgen retten wird.
Im November hatte die Regierung nach zahlreichen Toten bei einem Angriff auf eine Militärparade in Ahvaz hunderte Ahvazi festnehmen lassen, darunter auch Studenten, Schriftsteller, Minderheitsaktivisten und Oppositionelle. Sie sind verschwunden und haben keinen Kontakt zu Außenwelt, daher offensichtlich auch keinen Zugang zu einem Anwalt. Sie sind daher in akuter Gefahr, gefoltert oder misshandelt zu werden.
Aktuelle Jahresberichte zu wechselnden Ländern stellen wir jetzt auch im Rahmen von News-Beiträgen vor. Unter Infomaterial finden Sie alle Jahresberichte der Theko gegen die Folter.